Vom Reiz zur Ruhe – wie Yoga dein Nervensystem stärkt
Kontakt Kennst du das Gefühl, wenn dich ein einziger Gedanke aus der Ruhe bringt: eine Nachricht, ein Termin, ein Kommentar?Noch
Krisen kommen selten geplant. Sie treffen uns – manchmal plötzlich, manchmal schleichend – und werfen uns aus der gewohnten Bahn. Ob Verlust, Krankheit, Überforderung oder ein inneres Gefühl der Orientierungslosigkeit: In solchen Momenten suchen viele Menschen nach Halt.
Der Atem ist ein erstaunlich einfaches, aber kraftvolles Werkzeug, das genau diesen Halt bieten kann. Er ist immer da, braucht keine Hilfsmittel und kann uns helfen, wieder in Kontakt mit uns selbst zu kommen, wenn das Außen tobt.
Unser Atem steht in direkter Verbindung mit unserem Nervensystem – genauer gesagt mit dem Vagusnerv, einem zentralen Schaltkreis zwischen Gehirn, Herz und Bauch. In Stresssituationen aktiviert unser Körper den Sympathikus: Puls und Atemfrequenz steigen, der Körper macht sich bereit für Kampf oder Flucht. Doch diese Reaktion ist auf kurzfristige Gefahr ausgelegt – nicht auf dauerhafte Belastung.
Bewusste Atemarbeit kann hier regulierend eingreifen. Schon einfache Techniken wie verlängertes Ausatmen, sanftes Zählen oder Nasenatmung können dem Gehirn signalisieren: „Du bist sicher.“ Damit beginnt ein innerer Umschaltprozess – weg vom Alarmmodus, hin zu mehr Klarheit, Ruhe und Selbstverbindung.
Nicht jede Atemtechnik passt in jede Situation: entscheidend ist, dass sie einfach ist und sich gut anfühlt. Hier drei bewährte Ansätze aus dem Hatha Yoga und der Atempädagogik:
Atme drei Sekunden durch die Nase ein und sechs Sekunden ruhig durch die Nase aus. Das klingt einfach – und ist gerade deshalb so wirkungsvoll. Das verlängerte Ausatmen aktiviert gezielt den Parasympathikus, jenen Teil des vegetativen Nervensystems, der für Ruhe, Erholung und Regeneration zuständig ist.
Im Gegensatz dazu steht der Sympathikus, der bei Stress oder Gefahr anspringt – mit beschleunigtem Puls, flachem Atem, innerer Anspannung. Indem du die Ausatmung bewusst verlängerst, sendest du deinem Gehirn ein starkes physiologisches Signal: „Ich bin sicher – du kannst loslassen.“
Diese Technik senkt den Herzschlag, beruhigt den Blutdruck und kann in akuten Stressmomenten helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Viele Menschen berichten, dass sie durch das bewusste Ausatmen nicht nur ruhiger, sondern auch geerdeter und handlungsfähiger werden.
Besonders hilfreich ist die Technik, wenn…
du dich in einer Gedankenspirale verlierst,
du merkst, dass dein Körper auf „Alarm“ steht (z. B. Zittern, Enge im Brustkorb, Kurzatmigkeit),
du dich in sozialen oder beruflichen Situationen emotional überfordert fühlst.
Tipp zur Anwendung:
Zähle leise in Gedanken mit – „ein, zwei, drei“ beim Einatmen, „vier, fünf, sechs“ beim Ausatmen. Lege dabei eine Hand auf den Bauch, um dich mit der Bewegung deines Atems zu verbinden. Schon 5 bis 8 Atemzüge in diesem Rhythmus können eine spürbare Wirkung entfalten.
Mit etwas Übung kannst du den Rhythmus erweitern – etwa 4:7 oder 4:8 – ganz nach deinem Empfinden. Wichtig: Es darf sich ruhig, aber nicht gepresst anfühlen. Der Atem ist dein Verbündeter, kein Projekt.
Lege eine Hand auf den Bauch, eine auf das Herz. Schließe, wenn möglich, die Augen – und spüre, wie der Atem kommt und geht. Ohne ihn zu verändern, ohne etwas zu leisten. Einfach nur wahrnehmen, wo er spürbar wird: Hebt sich der Bauch? Weitet sich der Brustkorb? Bleibt ein Bereich eher starr oder flach?
Diese scheinbar einfache Übung ist eine kraftvolle Möglichkeit, Selbstwahrnehmung zu schulen. Und genau das ist in Krisensituationen oft der erste Schritt: aus dem Kopf zurück in den Körper. Aus dem Denken ins Fühlen.
Denn wenn wir gestresst oder emotional überfordert sind, verlieren wir leicht den Kontakt zu uns selbst. Wir funktionieren nur noch – innerlich wie abgeschnitten. Der Atem hingegen bringt uns zurück. Indem du ihn beobachtest, entsteht wieder Beziehung zwischen dir und deinem Inneren. Du spürst: Ich bin da. Ich atme. Ich lebe.
Diese Form der Achtsamkeit ist keine Meditation im klassischen Sinne – sie ist Körperpräsenz in Echtzeit. Sie wirkt, weil sie so konkret ist. Und weil sie uns wieder ins Jetzt holt – dahin, wo der Körper ohnehin schon ist.
Besonders wohltuend ist die Übung…
morgens nach dem Aufwachen, um sich zu sammeln,
in emotional aufgewühlten Momenten (z. B. nach Konflikten),
oder abends zum Runterkommen – als kleine Selbstfürsorge-Geste.
Du kannst die Hände auch bewusst wechseln – etwa beide auf den Bauch legen, beide auf die Rippenbögen oder das Brustbein. So schulst du dein Gespür für den Atemraum, also den Bereich, in dem du Atembewegung wirklich körperlich wahrnimmst. Das vertieft nicht nur die Körperbindung, sondern wirkt auch regulierend auf das Nervensystem.
Wichtig: Es geht hier nicht darum, den „richtigen Atem“ zu finden. Sondern darum, bewusst und freundlich mit dem Atem in Kontakt zu kommen – so, wie er jetzt ist. Ohne Druck, ohne Anspruch. Einfach da sein. Und atmen.
Beim Ausatmen leise summen – zum Beispiel fünf Atemzüge lang. Das mag ungewohnt klingen, doch die Wirkung ist erstaunlich: Das sanfte Vibrieren im Brust- und Kopfbereich wirkt beruhigend auf das Nervensystem, insbesondere auf den Vagusnerv, der eine zentrale Rolle für emotionale Stabilität, Herzfrequenzregulation und Verdauung spielt.
Diese Technik stammt aus dem klassischen Yoga und wird dort Bhramari Pranayama genannt – Bhramari bedeutet „schwarze Biene“. Du imitierst beim Ausatmen also den Klang einer summenden Biene. Dabei entsteht im Körper nicht nur ein feines Vibrieren, sondern auch eine spürbare Resonanz – ähnlich wie beim Tönen in der Musiktherapie oder beim Mantra-Singen.
Was dabei passiert:
Durch das Summen entsteht eine leichte Schwingung im Kehlkopf und Brustraum. Diese Vibration stimuliert das parasympathische Nervensystem, reduziert die Aktivität der Amygdala (dem „Angstzentrum“ im Gehirn) und fördert das Gefühl von innerer Sicherheit und Verbundenheit. Studien zeigen zudem, dass das Summen die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO) in den Nasennebenhöhlen anregt – ein Molekül, das gefäßerweiternd, entzündungshemmend und entspannend wirkt.
Bhramari ist besonders hilfreich bei:
innerer Unruhe, Nervosität oder Herzklopfen,
diffusen Ängsten oder Gedankenkreisen,
Einschlafproblemen, weil der Körper nicht „abschalten“ kann.
So geht’s:
Setze dich bequem und aufrecht hin. Atme durch die Nase ein – und beginne beim Ausatmen sanft zu summen, ohne Druck. Der Mund bleibt geschlossen, die Lippen locker. Spüre, wo die Vibration ankommt – meist im Brustkorb, im Gesicht oder im Kopf. Wiederhole das für fünf bis acht Atemzüge. Danach einen Moment still nachspüren.
Die Technik kann auch kombiniert werden – etwa mit einer Hand auf dem Herzen oder verbunden mit der Atemraum-Wahrnehmung. Das verstärkt die Wirkung und vertieft die Selbstanbindung.
Hinweis: Wenn dir das Summen unangenehm ist, beginne leise – oder nur in Gedanken. Selbst die Vorstellung des Summens kann schon regulierend wirken. Es geht nicht um Lautstärke, sondern um Resonanz. Um das feine Mitschwingen – mit dir selbst.
Ujjayi ist eine klassische Atemtechnik aus dem Hatha Yoga – kraftvoll und gleichzeitig subtil. Dabei verengst du beim Ein- und Ausatmen sanft die Stimmritze im Kehlkopf, sodass ein leises Rauschen im Rachenraum entsteht. Dieses Atemgeräusch erinnert an das Meeresrauschen oder das sanfte Zischen des Windes – rhythmisch, gleichmäßig, beruhigend.
Auf körperlicher Ebene bewirkt die verengte Stimmritze einen natürlichen Atemwiderstand, der den Atemfluss verlangsamt und vertieft. Dadurch wird der Atem länger, gleichmäßiger und kontrollierter – ein klares Signal an das Nervensystem: Ich bin präsent. Ich bin in Balance. Der Parasympathikus wird aktiviert, Stressreaktionen werden gedämpft, der Geist wird ruhiger.
Was Ujjayi besonders macht, ist der hörbare Aspekt des Atems. Durch das Rauschen wird der Atem zu einem inneren Anker – ein akustischer Leitfaden, der hilft, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten. Gerade in Momenten emotionaler Aufgewühltheit, innerer Unsicherheit oder Entscheidungsdruck kann diese Technik stabilisierend wirken.
Ujjayi eignet sich besonders bei:
innerer Nervosität oder Rastlosigkeit,
Überforderung oder drohender Reizüberflutung,
der Integration von Atem und Bewegung – z. B. in einer Yogapraxis oder beim achtsamen Gehen.
So übst du Ujjayi:
Setze dich ruhig hin. Atme durch die Nase ein und aus. Stelle dir nun vor, du möchtest beim Ausatmen einen Spiegel anhauchen – aber mit geschlossenem Mund. Das erzeugt das typische „Meeresrauschen“. Übertrage dieses Gefühl dann auch auf das Einatmen. Lass den Atem gleichmäßig, weich und tief fließen. Beobachte, wie der Klang dich nach innen zieht – fast wie ein Mantra.
Tipp: Wenn du das Gefühl hast, emotional zu schwanken oder den Fokus zu verlieren, kann Ujjayi dir helfen, dich zu „sammeln“. Durch die bewusste Atemführung entsteht innere Struktur – du atmest nicht einfach nur, du führst dich durch den Atem.
Hinweis zur Anwendung:
Ujjayi kann im Sitzen, Liegen oder in Bewegung geübt werden – etwa während einer sanften Yogapraxis oder beim achtsamen Spaziergang. Achte darauf, dass das Atemgeräusch angenehm bleibt – leise, fast intim. Es geht nicht um Lautstärke, sondern um Verbindung. Um das Spüren deiner inneren Stimme – durch deinen Atem.
Der Atem ist nicht nur in Krisen unser Begleiter – er kann zur täglichen Ressource werden. Viele Menschen erleben durch eine regelmäßige, bewusst gestaltete Atempraxis tiefgreifende Veränderungen:
mehr emotionale Stabilität,
weniger Reizbarkeit,
eine deutlich bessere Schlafqualität,
und ein feineres Gespür für die eigenen Bedürfnisse und Grenzen.
Wichtig dabei: Es geht nicht um Kontrolle oder Optimierung des Atems, sondern um Beziehung. Um das Kennenlernen und Pflegen einer natürlichen Verbindung, die uns in jeder Lebenslage zur Verfügung steht.
Schon 5–10 Minuten täglich reichen aus, um eine spürbare Wirkung zu erfahren. Es darf leicht sein. Es darf unperfekt sein. Es darf einfach nur dein Atem sein.
Wenn das Leben aus den Fugen gerät, kann der Atem dein innerer Halt sein.
Er ist kein Allheilmittel, aber eine verlässliche, unmittelbare Ressource, die du immer bei dir trägst.
Bewusste Atemtechniken geben dir Handlungsfähigkeit zurück und helfen, dich selbst nicht zu verlieren. Und vielleicht ist das das Wichtigste in einer Krise: präsent bleiben, atmen und weitergehen.
Kontakt Kennst du das Gefühl, wenn dich ein einziger Gedanke aus der Ruhe bringt: eine Nachricht, ein Termin, ein Kommentar?Noch
Kontakt Resilienz ist kein Zufall Resilienz, also die Fähigkeit, auch in belastenden Situationen innerlich stabil zu bleiben, ist zu einem